Dr. Tanja Ernst

Im Zuge der BME-Porträtreihe „Leading Ladies in Procurement" gibt Dr. Tanja Ernst, Leiterin Gesamtbeschaffung bei Volkswagen Poznan Sp. z o. o., im Interview Einblicke in ihren Werdegang.
Veröffentlicht am 07.08.2023

Position: Leiterin Gesamtbeschaffung
Unternehmen: Volkswagen Poznan Sp. z o. o.

Wie sind Sie dazu gekommen, im Einkauf zu arbeiten?

Offen gesprochen, war mein Ziel im Marketing/Vertrieb zu arbeiten, weil ich gern kreativ bin und inhaltsgetragene Argumentationen nicht scheue. Während einer Marketingvorlesung an der Universität Hannover wurde aber ein Praktikum im Einkauf vorgestellt, das sehr interessant klang. Meine Überlegung war, dass es nicht schaden kann, das „Pendant“ zum Marketing – den Einkauf – kennenzulernen. Also habe ich mich beworben und wurde ausgewählt. Das Praktikum und die Arbeit im Einkauf haben mir so viel Spaß gemacht, dass ich seitdem in diesem Bereich arbeiten wollte. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Als Führungskraft im Einkauf haben Sie sicherlich eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten. Könnten Sie uns einen Einblick in Ihren Verantwortungsbereich geben und welche besonderen Aufgaben oder Projekte Sie derzeit bearbeiten?

Als Leiterin der Gesamtbeschaffung bei VW Poznan bin ich verantwortlich für die Indirekte Beschaffung, die unsere polnischen Standorte mit allen notwendigen Investitionsgütern und Dienstleistungen versorgt. Mein Team ist zudem für die Serienbeschaffung Sonderwagenbau zuständig, welche die Bauteile für Kundensonderwünsche und das Zubehör ab Werk einkauft. Zu meinem Team gehört darüber hinaus das Kaufteilemanagement Polen, dessen Aufgabe in der nationalen und internationalen Anlauf- und Prozessunterstützung bei Lieferanten besteht. Um die Verzahnung der Teams im Konzern und in Poznan sicherzustellen, beschäftige ich zusätzlich Prozess- und Systemexperten.
In meiner Funktion als Leiterin Gesamtbeschaffung verantworte ich ebenfalls das Regional Sourcing Committee (RSC) Polen, welches alle Synergiepotenziale des Volkswagen-Konzerns und seiner Gesellschaften in der Region Polen bündelt und gesellschaftsübergreifende Beschaffungs- und Strategieentscheidungen trifft. Dieses breite Aufgabenfeld und der entsprechend große Verantwortungsbereich sind zwei Punkte, die mir an meiner aktuellen Position besonders viel Freude machen.

Empowerment passiert durch Begegnungen. Gibt es bestimmte Vorbilder oder Inspirationsquellen, die Sie persönlich beeinflusst haben?

Eine sehr wichtige Persönlichkeit in meinem beruflichen Leben war sicherlich mein früherer Chef, Herr Dr. Garcia Sanz, ehemaliger Konzern- und Markenvorstand der Beschaffung für die Volkswagen AG, für den ich mehrere Jahre als Vorstandsassistentin tätig sein durfte. Ich konnte viel für mich mitnehmen von seinem strategischen Weitblick, seiner Wahrnehmung auch „schwacher Signale“ im Markt und im Konzern sowie von seiner Ausstrahlung als Führungskraft, aber auch als Mensch.

„Sie als Frau…“, war das bisher in Ihrer Karriere ein Thema?

Ehrlich gesagt, war das in meinem beruflichen Leben bislang nie ein Thema. Ich habe zum Beispiel im Volkswagen-Konzern komplett ohne „Hintergrund“ angefangen und hatte das große Glück, nie das Gefühl zu haben, als Frau – oder generell als Mensch – benachteiligt zu werden. Auch mein familiärer Hintergrund hat bislang nie eine Rolle gespielt. Ich wurde bislang stets nach meinem persönlichen Umgang mit Menschen, meinen Ideen und meiner Motivation von meinem Kollegium und meinen Vorgesetzten beurteilt.

Welche Werte spielen in Ihrem Leben eine große Rolle?

Transparenz im Sinne einer Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, Stringenz als überzeugend konsequentes, nachvollziehbares Verhalten und Offenheit für Neues sind für mich sehr prägende Werte. Und da diese drei Werte oft auch eine gewisse „Portion“ Mut benötigen, ist dieser Aspekt ebenfalls sehr präsent in meinem beruflichen wie privaten Leben. Dabei geht es mir darum, diese Werte auch in herausfordernden Zeiten mit Leben zu füllen, denn es ist mir sehr wichtig, dass ich als Führungskraft meine Vorbildfunktion lebe – auch und grade in schwierigen Situationen. Letztlich kann ich nur die Werte von meinem Kollegium, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Vorgesetzten und Geschäftskontakten einfordern, die ich auch selbst lebe.

Was würden Sie sich in puncto Frauenförderung von Entscheidungsträgern und der Politik wünschen?

Vielen aktuellen Herausforderungen ließe sich begegnen, wenn wir Beruf und Familie miteinander vereinbar machen würden – wobei das für mich nicht unbedingt „nur“ eine Frage der Frauenförderung ist, sondern vielmehr die Förderung junger Familien betrifft. Verstärkte und geförderte Kinderbetreuungsangebote in verschiedenen Formen sind aus meiner Sicht die Basis hierfür. Daneben ist das Bildungswesen ein wesentlicher Schlüssel für die Zukunft junger Frauen: Der Zugang zu „guten“ Bildungskonzepten, auch für sozial benachteiligte Familien, kann als Grundlage für deren späteren beruflichen Aufstieg die Zahl von Studentinnen erhöhen. Übergreifend würde ich mir sowohl für Frauen als auch für Männer mehr variable, schnell einsetzbare Möglichkeiten zur Pflege Angehöriger wünschen, denn auch dies kann Karrierechancen beeinflussen. Aus meiner Sicht sollten wir diese Förderungskonzepte als einen ganzheitlichen Ansatz verstehen, der mehrere Elemente beinhaltet.

Würden Sie mehr Führungspositionen in Teilzeit im Einkauf als sinnvoll empfinden, um mehr Frauen auf C-Level zu bringen?

Wenn es ausgereifte Teilzeitkonzepte gibt, die sowohl die Bedürfnisse der Führungskräfte, der Mitarbeitenden und des Unternehmens berücksichtigen, dann kann dies aus meiner Sicht zu einem flexibleren Einsatz von Müttern führen – oder von Vätern, wenn diese sich für eine Teilzeitstelle entscheiden.

Was war bisher ihr größtes Abenteuer?

Im März 2019 hatte ich die Chance, mich privat mehrere Wochen auf eine Weltreise zu begeben. Das Besondere dabei war, dass ich allein gereist bin. Das hat meinen Denkmuster „geöffnet“ und war extrem spannend. Die Reise hat mir ermöglicht, neue Ideen zu sammeln sowie viele neue Menschen und Orte kennenzulernen. Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt. Das würde ich sehr gern noch mal machen, mit anderen Ländern als Ziel.

Was planen Sie für das nächste Jahr?

Da es in meiner Position in der Beschaffung nicht „den einen, vorgeplanten Arbeitsalltag“ gibt, ist das mit so viel Vorlauf schwer zu prognostizieren, aber wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann arbeite ich im nächsten Jahr weiter mit meinem Team daran, agile, moderne Lernkonzepte und Zusammenarbeitsmodelle bei uns einzuführen, denn das war ein wesentlicher Bestandteil meines Jobs in den letzten Monaten. Wir haben außerdem in letzter Zeit viele Prozessoptimierungen angestoßen. Ich würde mich freuen, wenn wir diese im nächsten Jahr erfolgreich umgesetzt und gemeinsam weitere neue Ideen entwickelt haben.
Persönlich hätte ich zwei Ziele: Ich möchte einen Halbmarathon laufen und einen Hund bei mir einziehen lassen.

Zum Abschluss: Gibt es noch etwas, das Sie unserer Leserschaft mitteilen möchten, insbesondere anderen Frauen, die im Einkauf erfolgreich sein wollen?

Der Schlüssel zu vielen Herausforderungen liegt darin, an sich selbst zu glauben, seine Stärke, aber auch Schwächen zu kennen und zu akzeptieren sowie eine gesunde Mischung aus Eigenständigkeit und Teamwork zu finden. Traut euch, eure Ideen zu verfolgen, diese „groß“ zu machen und zur Erreichung eurer Ziele manchmal auch Hilfe anzunehmen!

Kurzprofil:

Ich bin seit Oktober 2022 bei der Volkswagen Poznan Sp. z o. o. als Leiterin der Gesamtbeschaffung und als Leiterin des Regional Sourcing Committee (RSC) Poland beschäftigt.

Foto: Dr. Tanja Ernst

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