„Führen mit Vertrauen“
Frau Fürst, was verstehen Sie unter Vertrauen?
Vertrauen hat nach meinem Verständnis mit Erfahrung und Wissen zu tun. Wer weiß und wissend ist, kann einschätzen, ob er vertrauen kann. Vertrauen ist eine Art Vorschuss, den ich in Bezug auf das Verhalten anderer gebe – es ist gewissermaßen ein Geschenk. Aber nicht ohne Grund. Wir ersparen uns den Aufwand und den Einsatz von Ressourcen, die es bräuchte, um alles und jedes bis ins Letzte zu überprüfen. Letzteres ist ein unrealistisches Ansinnen in einer immer komplexer werdenden Welt.
Meinen Sie, der Mensch misstraut grundsätzlich lieber, anstatt zu vertrauen?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich glaube, dass es von Mensch zu Mensch sehr verschieden ist. Und wie schon oben ausgeführt, hängt es eben auch von Wissen und Erfahrung ab. Es gibt aber auch Menschen, die generell große Schwierigkeiten haben zu vertrauen. Gemäß dem Motto: Nur was ich selber gemacht habe, kenne ich und auf dessen Qualitätsstandard kann ich vertrauen. Das kostet enorm viele Ressourcen und ist an vielen Stellen auch wenig effektiv. Dass mangelndes Vertrauen vielfach auch sehr demotivierend und kränkend sein kann im Umgang miteinander, hat sicherlich jeder von uns auch schon selber erlebt. Im beruflichen, wie im privaten Umfeld.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wer seinem Mitarbeiter nicht auf die Finger schaut, sollte sich nicht wundern, wenn der sich vor der Arbeit drückt. Stimmt das wirklich?
Meine persönliche Sichtweise, tiefe Überzeugung und auch aus meiner Erfahrung als Mitarbeiterin, als Führungskraft und Coach, ist definitiv eine andere. Und das hat nichts mit Leichtgläubigkeit oder Naivität zu tun. Im spirituellen Sinne kann man sagen: Du erntest, was Du säst.
Wissenschaftliche Erklärungen dazu gibt es auch vielerlei. Denken Sie zum Beispiel an die wahrlich schon in die Jahre gekommene Theorie X-Y von dem amerikanischen MIT Professor Douglas MCGregor. Diese beschreibt zwei sehr unterschiedliche Führungspersönlichkeiten. Zum einen jene Führungskraft X, die davon ausgeht, dass Mitarbeitende von Natur aus faul und unwillig sind. Ein Mitarbeitender, der im Laufe seines Arbeitstages mehrfach von seinem Vorgesetzten am Arbeitsplatz überrascht und kontrolliert wird, traut sich nicht mehr, neue Ideen zu entwickeln, weil er Angst vor der Reaktion seines Vorgesetzten hat. Resignation, Frustration und keinerlei Engagement sind die Konsequenzen; fatal für jede Organisation, weil es Effektivität und damit wirtschaftlichen Erfolg mindert. Zum anderen die Führungskraft, die davon ausgeht, dass ein Mitarbeitender Y, selbst sehr gerne Verantwortung übernimmt, motiviert und engagiert ist und keine stärkere Form von Kontrolle benötigt. Dass diese Wahrnehmung und Haltung positive Auswirkung auf Erfolg und Produktivität hat, muss nicht explizit erläutert werden. Führungspersönlichkeiten passen ihr Verhalten Mitarbeiter:innen gegenüber unterbewusst an ihre eigenen Vorurteile an. Hat eine Führungskraft die Sicht auf Mitarbeitende als faule und unwillige Arbeitnehmer, dann werden diese auch der Erwartung entsprechen. Die Sicht auf Arbeitnehmer als intrinsisch motivierte Menschen, die gerne Verantwortung übernehmen und mit entgegengebrachtem Vertrauen achtsam umgehen, wird mit Vertrauen im Gegenzug und Engagement der Mitarbeitenden belohnt. Self fulfilling prophecy at it’s best!
Das ist aber bitte kein Freifahrtschein für „Nichtführung“ und kein Aufruf zu blindem und unreflektiertem Vertrauen. Führung braucht immer Orientierung, allerdings auch, wo nötig und angemessen, Kontrolle, aber eben nicht generelles Misstrauen.
Gibt es einen Unterschied zwischen Vertrauen im privaten und beruflichen Kontext?
Ich sage nein. Vertrauen ist eine Kette aus gehaltenen Versprechen. Wenn sich diese Erfahrung zwischen Menschen wiederholt, entsteht und wächst das Vertrauen. Vertrauen ist aber auch ein enorm fragiles Gebilde, weil es eben sehr schnell und manchmal unmerklich für die Beteiligten kaputtgehen kann. Und ist dieses Vertrauen erst einmal, aus welchen Gründen auch immer, beschädigt, dauert es mitunter sehr lange, bis es wieder belastbar ist. Das gilt nach meiner Einschätzung im beruflichen wie im privaten Umfeld gleichermaßen.
Wonach entscheiden wir, ob wir unserem Chef vertrauen oder nicht?
Walk the talk! Sag, was Du machst und mach, was Du sagst! Das gilt für Mitarbeiter:Innen und Führungskräfte gleichermaßen. Wenn Mitarbeiter:Innen den Eindruck gewinnen, dass sie sich auf ihren Vorgesetzten oder die Geschäftsleitung verlassen können, wächst das Vertrauen. Und das bedeutet nicht, dass es auf dem Weg keine „Kursänderungen“ geben kann. Eine andere Annahme wäre in einer volatilen Welt wie unserer unrealistisch. Entscheidend ist, wie diese „Kursänderung“ kommuniziert wird und die „Besatzung im Boot“, um eine Metapher zu bedienen, darüber informiert und mitgenommen wird. Wenn das, was ich höre, auch Realität wird, kann Vertrauen entstehen.
Es scheint, als ob Vertrauen zu zerstören, leicht gelingt, es aufzubauen, aber schwierig ist. Kann man verlorenes Vertrauen überhaupt wieder zurückgewinnen? Oder hilft nur personeller Wechsel?
Es braucht Zeit, bis Vertrauen entsteht und noch mehr Zeit, bis dieses Vertrauen auch belastbar wird. Vertrauen ist ein fragiles und sensibles Gebilde, das mit großer Achtsamkeit aufgebaut und kontinuierlich gepflegt werden will. Wenn diese Kette an gehaltenen Versprechungen eine Blessur erlitten hat, dann muss am Wiederaufbau der Glaubwürdigkeit gearbeitet werden. Das braucht viel Augenmerk und kann nicht zwischen Tür und Angel geschehen. Kommunikation, Kommunikation und noch einmal Kommunikation sind unerlässlich, damit Vertrauen wieder entstehen kann. Ein personeller Wechsel kann eine adäquate Maßnahme sein, ist aber nicht immer das einzig logische Mittel der Wahl. Wenn die Mitarbeitenden erkennen und wahrnehmen, dass dem Vorgesetzten oder CEO viel am Wiederaufbau des Vertrauens gelegen ist und darin investiert wird, dann trägt dieser Prozess bereits zur Vertrauensrehabilitation bei. Mitarbeiter:Innen haben sehr feine Antennen und können gut unterscheiden, ob diese Bemühungen ehrlich und authentisch sind.
Warum ist eine vertrauensvolle Beziehung unter Kollegen so wichtig?
Das Vertrauen unter Kolleginnen und Kollegen ist wie der Kitt, der ein soziales Gefüge, also auch ein Team, zusammenhält. Ohne diese integrierenden Eigenschaften wirken die zentrifugalen Kräfte mehr als die integrativen und verbindenden. Vertrauen schafft Räume für Austausch und Gespräche, woraus wiederum Kreativität und Zusammenhalt entsteht. Wer gerne zur Arbeit kommt, weil er seinen Kolleginnen und Kollegen vertraut, ist vermutlich auch dem Arbeitgeber gegenüber loyaler und überlegt zweimal mehr, bevor er sich nach draußen orientiert.
Welche Konsequenzen hat ein Vertrauensverlust für den Zusammenhalt in Teams?
Ein Vertrauensverlust in einem Team hat immer eine sehr weitreichende und vor allem destruktive Auswirkung auf alle Beteiligten. Man weiß ja selber, wie es sich anfühlt, wenn man jeden Morgen mit einem schlechten Gefühl, schlechter Laune oder vielleicht sogar Angst ins Büro geht, weil man seinen Kolleg:innen nicht über den Weg laufen möchte. Der Zusammenhalt im Team, ob in einer Abteilung oder in einem Projekt, basiert auf gegenseitigem Vertrauen – es ist sozusagen der Nährboden für wirtschaftlichen Erfolg. Wenn ich Vertrauen wahrnehme, habe ich den Anreiz, diesem Vertrauen zu entsprechen und setze mich entsprechend für das Große und Ganze ein; der Erfolg stellt sich üblicherweise von alleine ein. Bedeutet im Umkehrschluss: mangelndes Vertrauen verhindert gemeinsamen Erfolg!
Was können Kolleg:Innen tun, um gegenseitiges Vertrauen zu stärken?
Man könnte meinen, dass Vertrauen zwischen Menschen nur in krisenfreien Zeiten entstehen kann. Ich denke, dass dem nicht so ist. Transparenz und Kommunikation sind die wichtigsten Ingredienzien für Vertrauensaufbau. Man braucht auch keine Angst vor Konflikten zu haben. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte sind immer nur schlimm und destruktiv, wenn man nicht darüber sprechen kann. Für gegenseitiges Vertrauen im Team ist es aber auch wichtig, sich selber ein wenig zu öffnen und den Kolleginnen und Kollegen Einblick in seine Gedankenwelt zu geben. In der Regel funktioniert das dann auch immer in die andere Richtung. Ich persönlich bin ein großer Befürworter von regelmäßig stattfindenden Teamworkshops. Diese dienen der „Teamhygiene“ und sind erfahrungsgemäß wichtig für das Vertrauensverhältnis innerhalb der Kolleginnen und Kollegen, aber auch im Verhältnis zum Vorgesetzten. Dieser sollte sich im Vorfeld eines solchen Teamworkshops genug Zeit nehmen, um zu überlegen, welche Themen anstehen, welche Botschaften gesendet werden sollen und woran gearbeitet werden muss. Inhaltlich, strategischer Art und mindestens genauso wichtig die das Team betreffende Themen.
Was sind die wichtigsten Rezepte für Vertrauen für Führungskräfte, die sich in der Sogwirkung des Tagesgeschäfts bewährt haben?
Ich spreche immer von den sieben goldenen Zutaten für Vertrauen:
1) Kommunikation: Ohne Kommunikation wird es nie und nimmer Vertrauen geben. Sie ist auch essentiell, wenn Vertrauen verloren gegangen ist und wiederhergestellt werden muss.
2) Loyalität: Es ist das Grundnahrungsmittel von Vertrauenswürdigkeit. Loyalität ist keine angeborene Fähigkeit, sondern vielmehr ein persönliches Lebensmotiv und eine Grundhaltung, die dann von Menschen konsequent umgesetzt wird. Vertrauenswürdigkeit bekommt man von seinem Mitmenschen zugesprochen; man muss es sich ein Stück weit „verdienen“ oder erarbeiten.
3) Realitätssinn: Dahinter steckt die Frage: „Wie wahrscheinlich ist es, dass….?“
4) Respekt: vor dem Anderen und den Anderen
5) Offenheit: gegenüber abweichenden Meinungen und Haltungen
6) Fehlertoleranz: Nobody is perfect. Die positive Psychologie spricht sogar davon, dass in jedem Fehler und jedem Scheitern, ein Geschenk liegt. Das zu finden, ist nicht immer leicht, aber kann interessante, neue Erkenntnisse bringen.
7) Großmut: Nur wer Vertrauen schenkt, wird auch selbst welches bekommen.
Bei welchem Betriebsklima arbeiten Mitarbeiter freiwillig mehr?
Die intrinsische Motivation ist der wichtigste Baustein, damit Menschen die „Extrameile“ laufen. Wenn das Gefühl im Inneren der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsteht, dass der persönliche Einsatz sich lohnt, dass Selbstwirksamkeit durch eigenes Tun entsteht, arbeiten Mitarbeitende in der Regel gerne mehr. Echte und authentische Wertschätzung durch den Vorgesetzten und Anerkennung für den Einsatz bestätigen sie dann in ihrem Handeln und sie werden es gerne wiederholen, wann immer es wichtig und notwendig ist.
Ehrlichkeit und Transparenz sind vielen Angestellten sehr wichtig. Was hat dies mit Vertrauen zu tun?
Es ist die Basis von Vertrauen. Ohne Ehrlichkeit und Transparenz darüber, was man denkt, was einem wichtig ist, wohin man sich selber entwickeln möchte als Angestellter und Mitarbeitender, kann kein Vertrauen entstehen. Das gilt aber ex aequo für Führungskräfte. Wenn man seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kein ehrliches Feedback gibt, wie man ihre Leistung einschätzt, kein Feedback zu Erfolgen oder Misserfolgen gibt, dann fischt der Mitarbeitende im Trüben und wird durch eine schlechte Beurteilung förmlich überrollt, mit der Folge, dass die Rückmeldung nur schwer angenommen werden kann. Feedback muss nicht immer positiv sein, damit Vertrauen entstehen kann zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Aber ehrlich und wertschätzend kommuniziert muss es sein! Das Verhalten bzw. die Leistung sollte immer getrennt von der Person als Mensch betrachtet werden.
Die Arbeitswelt wird immer schneller. Haben wir in Zukunft noch die Zeit, erst Vertrauen zu Kollegen aufzubauen?
Es gibt ein japanisches Sprichwort das lautet: wenn Du es eilig hast, gehe langsam! In der Deutung dieser Aussage auf die Arbeitswelt würde ich sagen: wenn Du effektiv arbeiten willst, dann investiere zuerst und fortlaufend in das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Organisation, für die sie arbeiten, in das Team, dem sie angehören und in die Führungskraft, die für sie verantwortlich ist. Ohne dieses Vertrauen wird es kein professionelles Arbeitsumfeld geben. Das haben wir an vielen Beispielen in der Wirtschaft in den letzten Jahren feststellen und auch in den Medien verfolgen können.
Wir bedanken uns für das Interview und die damit verbundenen Einblicke.
Nicole Fürst, Jahrgang 1970, ist Business-Coach, HR-Leiterin sowie passionierte Personalentwicklerin und lebt und arbeitet im Rhein-Main-Gebiet. Sie lässt in ihrer Arbeit immer den Ansatz der Ressourcenorientierung sowie der positiven Psychologie einfließen. Schon früh faszinierte die Juristin und zweifache Mutter das Thema »Vertrauen« und dessen Wirkungsmechanismen.
Foto: Nicole Fürst